Wein-Geister-Lesung 2024

Programm des ersten Halbjahres 2024

 

Mittwoch, 17. Januar 2024, 19 Uhr

 

Foto: Jessica Schaefer

 

 

 

 

Kathrin Röggla liest aus „Laufendes Verfahren“

„Kein Schlussstrich!“ Das war die Forderung vieler Stimmen aus der Nebenklage nach dem Urteil des NSU-Prozesses. Zu wenig wurde aufgeklärt, zu viel politisch versprochen. Was genau aber passiert mit einem Prozess, um dessen Grenzen so nachhaltig gestritten wird? Wer beobachtet die dritte Gewalt bei ihrer Arbeit, wenn es um rassistischen Terror und den Angriff auf unsere Demokratie geht?

Kathrin Röggla nimmt ihre Leserschaft mit in den Gerichtssaal, um ihr eine Beobachtung des deutschen Justizapparats zu ermöglichen. Die Autorin erzählt nicht in der üblichen Vergangenheitsform von einem abgeschlossenen Fall, und sie nimmt die bewusst unprofessionelle Perspektive eines „Wir“ ein, das oben auf den Zuschauerrängen sitzt. Doch wer sind „wir“ eigentlich, wenn jedes „Wir“ durch den Prozess in Frage gestellt wird? Kathrin Röggla spürt damit sprachskeptisch den Narrativen eines „Beobachterkollektivs“ aus Juristen, Journalisten und Zuschauern nach. Mit großer Genauigkeit, aber auch mit erstaunlicher Komik und Musikalität erzählt Rögglas Roman von den Rollen und Spielregeln des laufenden Verfahrens, um zu einer radikal offenen, vielstimmigen Form der Aufklärung zu kommen. Die Autorin, die den Prozess über Jahre hin als Zuschauerin besucht hat, hat ein Buch geschrieben über die aktive Teilhabe all der Menschen, die das Gericht zu einem lebendigen Ort der Demokratie machen.

Für den Roman Laufendes Verfahren, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, wurde Kathrin Röggla der Heinrich-Böll-Preis verliehen.

„Was erst ziemlich abstrakt klingt, ist aber wahnsinnig spannend, eine gekonnte Beobachtung des deutschen Justizapparats und manchmal trotz eines aufgeladenen Themas auch wirklich komisch.“ (FAZ)

Veranstaltungsort: Neues Schauspielhaus, Uelzen

 

Donnerstag, 22.Februar 2024, 19 Uhr

 

Foto: Eggstein

 

Arnold Stadler liest aus „Irgendwo. Aber am Meer“

Arnold Stadler, der mit vielen Literatur-Preisen ausgezeichnet wurde, auch mit dem bedeutendsten deutschen Literaturpreis, dem Georg-Büchner-Preis, Mitglied u.a. der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist, hat schon einige Male bei den Wein-Geister-Lesungen gastiert. Nun liest er aus seinem neuesten Roman „Irgendwo. Aber am Meer“. Da reist ein Schriftsteller zu einer Kulturveranstaltung in den Westerwald, wo er an einem „Talk“ teilnehmen soll. Aber der „Event“ wird zum Fiasko. Befragt, was sein Beitrag zur Energiewende sei, wie er zu Greta Thunberg und den im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen stehe, verstrickt er sich in einen hilflosen Antwortversuch. „Ich hatte den Verdacht, dass sie auf Schloss Sayn eigentlich Greta Thunberg hatten hören wollen und mir übelnahmen, dass ich nicht Greta Thunberg war, sondern ein weißer Alter, der für alles verantwortlich gemacht werden konnte. Und sie selbst nahmen es sich auch übel, dass sie zu mir und nicht zu Greta Thunberg gereist waren.“ Die abwägenden Gedankengänge des Autoren werden aus dem Publikum mit “Das ist ja das reinste weiße Altmännergeschwätz!“, quittiert. Erholungsbedürftig bricht der „Experte im Nichtwissen“, dem die Gegenwart fremd geworden ist, zu einem Sehnsuchtsort seines Lebens auf: ein Haus mit Blick auf die griechische Insel Ithaka, der Heimat von Odysseus. Es wird eine tragikomische Reise durch Erinnerungen, Geschichten und Gedanken, eine Suche nach unserem Platz in der Welt; dem Ort, an dem wir – trotz allem! – glücklich sein können. Irgendwo. Aber am Meer.

Der Roman „ist eben, anders als ein Westerwälder Publikum vielleicht denken mag, keine Altherrenliteratur. Stadlers Prosa hat über die Jahre weder an Aktualität noch an Kraft verloren, sie gehört vielmehr zum Schönsten und Schlausten, was zeitgenössische Literatur in deutscher Sprache zu bieten hat.“ (SWR)

Veranstaltungsort: Neues Schauspielhaus, Uelzen

 

Dienstag, 19. März 2024,19 Uhr

 

Foto: Hans Lepel

 

 

Natasha Korsakova liest aus „Di Bernado“

Natasha Korsakova ist in Uelzen seit vielen Jahren bestens bekannt: Zum einen, weil sie immer wieder als virtuose Geigerin an den Holdenstedter Schlosswochen teilgenommen hat, zum anderen als Autorin von Musik-Krimis, die im römischen Musikermilieu spielen, in dem sich die international bekannte Violinistin bestens auskennt. Das Besondere an ihren Lesungen ist, dass sie die Musikstücke, die im Krimi vorkommen, live während der Lesung auf ihrer Geige spielt. Die fünfsprachige Autorin, die mit diesem Buch den dritten Fall von Comissario Di Bernardo vorlegt,  wurde für die beiden ersten ebenfalls in Rom spielenden Folgen bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Es geht nun um einen grausamen Doppelmord, der sich neben der Basilica di San Giovanni in Laterano ereignet. Alessandro Ferro, ein bekannter römischer Komponist, liegt tot in einer riesigen Blutlache, eine Pistole in der Hand. Dagegen scheint niemand die junge Frau zu kennen, die nur wenige Meter entfernt von ihm erschossen wurde – mutmaßlich von Alessandro selbst. Comissario Di Bernardo, der zusammen mit seinem Ispettore Roberto Del Pino schon Jahre zuvor in der illustren Musikwelt ermittelt hat, wird mit dem Fall beauftragt. Schon bald gibt es eine Handvoll Verdächtige. Eine von ihnen ist Alessandros Ex-Freundin Elisa – eine Geigerin, die mit Umweltaktivisten sympathisiert, die sich gegen den illegalen Holzhandel starkmachen. Eine andere Spur führt Di Bernardo zu einem römischen Bogenbauer, der gefährdete Tropenhölzer quasi mit Gold aufwiegt. Ohne es zu ahnen, betritt Di Bernardo eine Welt, die von Habgier, Existenzängsten und Konkurrenzdruck regiert wird.

„Es kommt wirklich selten vor, dass eine Ausländerin Italien so beschreibt, wie es wirklich ist, und nicht so, wie man es sich nach einem Urlaub unter der italienischen Sonne vorstellt…“ (La Stampa)

Veranstaltungsort: Neues Schauspielhaus, Uelzen

 

Mittwoch, 17. April 2024, 19 Uhr

 

Foto: Iona Dutz

 

 

 

 

Anselm Oelze liest aus „Pandora“

Nach seinem erfolgreichen Debüt Wallace, aus dem er auch in Uelzen gelesen hat,  ist Anselm Oelze mit Pandora ein fulminanter Roman gelungen: über die „woke“ Generation, die gesellschaftlichen Krisen der Gegenwart, die großen Fragen der Menschheit. Ein Buch, das mitnimmt auf eine Reise, die niemand so schnell vergessen wird.

Vier Menschen stecken in der Krise: Der Schriftsteller David Rubens, weil er von Frau und Kind verlassen wurde. Der Lehrer Telmo Schmidt, weil er von seinen Schülern erpresst wird. Der Astronom Jurij Bogić, weil er mit der Vergangenheit seines Vaters kämpft. Und die Ethnologin Carline Macpherson, weil sie mit der Zukunft der Menschheit hadert. Sie alle zieht es im Verlauf der Handlung von Mitteleuropa nach Südamerika. Sie alle sehen sich vor die Frage gestellt, wie es sein kann, dass man das Richtige weiß und trotzdem das Falsche tut. Bis sich abzeichnet, wie das Übel der Pandora in etwas Heilbringendes verwandelt werden kann und es im südamerikanischen Regenwald zu einem unerwarteten Zusammentreffen kommt. Dem studierten Philosophen Oelze gelingt es dabei, ethische Fragestellungen auf die Konkretion der Lebenspraxis herunterzubrechen, wenn etwa das professionelle Selbstverständnis einer Ethnologin thematisiert wird oder Gewissenskonflikte eines serbischen Soldaten, der zwar Tiere liebt, aber Menschen tötet. Alle Protagonisten verwickeln sich in Widersprüche mit ihren Idealen an ein ethisches Verhalten und ihrem wahren Verhalten im Alltag.

„Der Roman schafft es, ernsten Stoff technisch gewieft und psychologisch gewitzt zu entwickeln, in immer neuen Perspektiven und sympathisierender Nähe zu allen Personen.“ (Die Zeit)

Veranstaltungsort: Neues Schauspielhaus, Uelzen