Aufsatz zum 125. Geburtstag

Ein christlicher Heide

Vor 125 Jahren wurde Werner Bergengruen geboren

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Noch vor 50 Jahren zählte Werner Bergengruen zu den meistgelesenen deutschen Autoren. Am Ende umfasst sein Werk 12 große Romane, ca. 200 Novellen und ca. 500 Gedichte. 1967 ermittelte ihn eine Spiegel-Umfrage unter deutschen Studenten als beliebtesten Autor neben Hermann Hesse. Dann allerdings traf ihn der Bannstrahl Adornos, der bekanntlich „nach Auschwitz“ Lyrik nicht mehr ertragen konnte, schon gar nicht einen Gedichtband, der mit Die heile Welt überschrieben war. Und es kam die Kulturrevolution der 68er, die Bergengruen aus den Schullesebüchern und Literaturgeschichten verbannte – mit noch so manch anderen Namen, beispielhaft zu nennen: Reinhold Schneider, Stefan Andres, Elisabeth Langgässer, Gertrud von Le Fort. Aktuell zu vermelden ist, dass er immerhin in den Lehrplänen für bayerische Schulen wieder auftaucht.

Werner Bergengruen wird am 16. September 1892 in Riga in eine Gesellschaft hineingeboren, die stark feudalistisch geprägt ist: eine aristokratisch-patrizische deutsche Minderheit, nämlich die Balten,  beherrscht eine lettische Mehrheit unter formaler russischer Oberhoheit. Werner Bergengruen kommt mit russischem Pass nach julianischer Zählung zur Welt, was später in Reichsdeutschland – vor allem unter der preußischen Bürokratie – zu einigen Irritationen führt. Seine Amme ist eine Russin. Im Rückblick sieht er sein ganzes Leben von solch „verzwickten“ Verhältnissen, von Abweichungen gegenüber dem Normalen geprägt (dazu gehört für einen Balten auch die Konversion zum Katholizismus). Er mache „immer alles anders als andere Leute“, scherzt die Familie. Und er selbst sieht sich – weltanschaulich, politisch, literarisch – stets „zwischen zwei Stühlen“. Auch gegen die Vereinnahmung als „christlicher“ oder „katholischer Autor“ wehrt er sich vehement. Wenn überhaupt, sei er – zuhause in allen mythischen Traditionen –  ein „christlicher Heide“.

Werner Bergengruen ist väterlicherseits schwedischer Abstammung; bis heute existiert in Schweden das Adelsgeschlecht „Bergengreen“. Vater Paul Bergengruen ist Arzt mit einigem Landbesitz (die Dienerschaft ist lettisch), der Großvater Ältester der Großen Gilde in Riga. Die Kindheit erlebt Werner als „Jungherr“, dem die Dienerschaft den Ärmel küsst (was ihm peinlich ist). Noch die späten Rittmeister-Bücher zehren von den Kindheitserlebnissen, in deren Schilderung der baltische Humor besonders zum Ausdruck kommt. Die alte baltische Welt beschreibt er als eine mittelalterlich-barocke Welt, außerhalb der Moderne. Noch ein  „Zeitalter der Freiheit, der Lebensselbstverständlichkeit, der Pferde, der Dienstboten, der gesellschaftlichen Ehrbegriffe und des untotalen, ja, nur zaghaft und partiell ins Einzelleben eingreifenden Staates“. Dass er da, im Alter von 10 Jahren, im Zuge der Russifizierung auch der Schulen herausgerissen und nach Deutschland – nach Lübeck ins „Katherinäum“, das auch Theodor Storm und Thomas Mann besuchte –  geschickt wurde, empfindet er bis ins Alter „als die schwerste Verletzung meines Lebens“.

Über die Schulzeit (von 1903 bis 1908 in Lübeck; von 1908 bis 1911 in Marburg) und von seiner Jugend ist wenig überliefert. Er verbrennt seine Jugendbriefe, wo er ihrer „habhaft werden kann“. Das Studium zunächst der Evangelischen Theologie, dann der Germanistik und Kunstgeschichte in Marburg, München und Berlin schließt er nicht ab, meldet sich zu Beginn des 1.Weltkriegs freiwillig zum Deutschen Heer (hätte sich auch ins russische melden können), ist als Leutnant bzw. Stoßtruppführer im Baltikum im Einsatz, danach 1919 als Angehöriger der Baltischen Landwehr, mit der er 1919 kurzfristig Riga von der Roten Armee zurückerobert. Bei den Bolschewisten in Haft, sieht er sich in Kiew mit der Inventarisierung von Ingenieursgeräten herausgefordert und flieht schließlich noch 1919 aus Russland.

Die schriftstellerische Laufbahn beginnt er als Journalist. In Berlin ist er schon 1914, in seinem letzten Universitäts-Semester, nur zur Hälfte noch Student, ansonsten Redaktionsvolontär bei der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“. Nach dem Krieg gibt er von 1920 bis 1922 die „Ostinformationen“ heraus, wird 1925 kurzfristig Schriftleiter der „Baltischen Blätter“ und befasst sich wegen der Gründung eines Hausstands überhaupt, wie er schreibt, „mit verschiedenen journalistischen Dingen“. Er hatte nämlich 1919 Charlotte Hensel geheiratet, eine Nachfahrin der Fanny Hensel und also zur Mendelssohnfamilie gehörend. Vier Kinder kommen nach 1920 zur Welt, Olaf stirbt schon nach 1 ½ Monaten, Luise  „Nino“, Maria „Ria“ und Alexander „Dander“ leben bis heute, die älteste 93 Jahre alt, der jüngste 86. Die Familie lebt bis 1936 in Berlin, kann sich in Zehlendorf sogar von Ererbtem ein kleines Reihenhäuschen leisten (dort gibt es noch immer eine Werner-Bergengruen-Straße), verkehrt freundschaftlich mit Oda Schäfer, Horst Lange, Peter Huchel und kollegial mit den Autoren der „Rabenpresse“. 1936 folgt nach der Konversion der Familie zum Katholizismus der Umzug in ein eigenes Haus in München-Solln, das 1942 einem Luftangriff zum Opfer fällt. Weitere Wohnorte sind ab 1942 Achenkirch in Tirol, nach dem 2. Weltkrieg Zürich und schließlich 1958 Baden-Baden. Dort stirbt Werner Bergengruen am 4. September 1964 (nicht 1962, wie auf einer Gedenktafel in Riga zu lesen ist).

Werner Bergengruen hat für sich nie eine Zugehörigkeit zur sogenannten „inneren Emigration“ reklamiert. Dennoch wird er heute zu den echten Protagonisten eines geistigen Widerstandes gegen das NS-Regime gezählt. 1937 erfolgt der Ausschluss Bergengruens aus der Reichsschrifttumskammer als „nicht geeignet… am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten“, aber wohl auch wegen der Einstufung seiner Frau als Halbjüdin. In München befreundet er sich mit Carl Muth, einer Gestalt des katholischen Widerstands, trifft in dessen Haus Hans Scholl und steckt nächtens mit der eigenen Maschine abgetippte Flugblätter der Geschwister Scholl in Briefkästen. Bereits 1937 wird seine Gedichtsammlung “Der ewige Kaiser” in vielen Abschriften anonym verbreitet und galt als Wegzehrung für Gleichgesinnte. Überhaupt wurde Bergengruen in diesen Jahren viel gelesen. Auch das schützte ihn in gewisser Weise. So ging er weiter auf Lesereisen – das Rundfunk- und Vortragsverbot kam erst später -, im Gepäck nicht zuletzt seine beliebten Reisefeuilletons. Der “Baedecker des Herzens”, Erstauflage 1932, trug ihm zwar einen Prozeß ein, aber nur wegen Namensschutz – er musste in “Badekur des Herzens” umbenannt werden.

Als „Dichter“ tritt Bergengruen, sieht man von früheren lyrischen Ergüssen in Provinzblättern ab, zum ersten Mal 1922 mit seinem Roman „Das Gesetz des Atum“ in  Erscheinung. Er wird in Fortsetzungen in der „Frankfurter Zeitung“ abgedruckt. 1923 folgen zwei Bände mit Novellen mit den Titeln Rosen am Galgenholz und Schimmelreuter hat mich gossen – inhaltlich um Magie, Alchemistik, Esoterik kreisend, man könnte sie „Schauergeschichten“ nennen, „mit Recht“, wie er in seinem Knurriculum vitae schreibt, „vergriffen, verbrannt, vergessen“. Auch den Roman von  1926 Das große Alkahest muss er später umschreiben, unter dem neuen Titel Starost sieht er  endlich das eigene Postulat erfüllt nach der „Vereinigung von Klarheit und Tiefe, die im Deutschen so selten ist“.  Unter den Zeitgenossen schätzt er in dieser Hinsicht vor allem Kafka, aber auch Hofmannsthal und Thomas Mann. Mit Novellenbänden wie Das Buch Rodenstein (1927), Die drei Falken (1937), Der Tod von Reval (1939) und den großen Romanen Herzog Karl der Kühne (1930), Der Großtyrann und das Gericht (1935) und Am Himmel wie auf Erden (1940), vor allem aber auch mit seinen in zahlreichen Lyrikbänden und Anthologien veröffentlichten Gedichten hat er sich am Ende seines Lebens nicht nur ein großes Lesepublikum erobert, sondern auch die Wertschätzung von Literaturwissenschaft und Kritik (Gero von Wilpert: „musterhafte Novellistik“). Der Germanist Emil Staiger hält die Totenrede.

Eckhard Lange