anlässlich der Verleihung des Werner-Bergengruen-Preises
Ulrich T.G. Hoppe
Sehr geehrter Herr Präsident Lange, sehr verehrte Frau Vizepräsidentin Schütze, sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder der Werner-Bergengruen-Gesellschaft, sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Freunde und Verwandte, liebe Eltern, liebe Geschwister, meine liebe Schwester Felicitas!
Heute Vormittag haben wir uns in Uelzen versammelt, wo die Werner-Bergengruen-Gesellschaft zum vierten Mal den Werner-Bergengruen-Preis verleiht. Den Sitz der Werner-Bergengruen-Gesellschaft würde ich, wenn ich auf die Biographie dieses Dichters schaue, ganz spontan eher in Lübeck, wo er das Internat besuchte, oder in Marburg, wo er studierte, oder vielleicht in Baden Baden ansiedeln, wo Werner Bergengruen seine letzten Lebensjahre, von 1958 bis zu seinem Tod am 4. September 1964, verbrachte.
Dass der Sitz der Werner-Bergengruen-Gesellschaft in Uelzen ist, wird wohl vor allem darin begründet liegen, daß sich hier Menschen gefunden haben, die ein großes Interesse, ja eine besondere Liebe zum Werk dieses Dichters haben. Aber es gibt auch eine andere Verbindung Bergengruens zum genus loci dieses Ortes Uelzen, inmitten der Lüneburger Heide. Wir können etwas darüber in dem seinem Buch Deutsche Reise aus dem Jahr 1934 nachlesen, als er sich mit dem Fahrrad auf den Weg durch Deutschland machte:
„Ich habe die Heide zu Rad und zu Fuß durchstreift, ich habe die dunstige Feuchtigkeit der Moorgebiete geatmet, die trockene Mittagsglut auf den bräunlichen Hügelkuppen und die reine Frischung der berieselten Wiesen, an deren Rändern die alten Eichen stehen; ich habe im Heidekraut des dürren, im graugrünen Torfmoos des feuchten Bodens gerastet; zwischen dem Ginster der Abhänge, im wilden Dunkel des Güll-Forstes wie im grünen Baumdurcheinander der Bauernwälder und an jenen rätselhaft hingetürmten Steinblöcken, unter denen vergessene Königsgeschlechter ihren Schlaf in der Erde halten. Ich bin eingekehrt in Heidedörfern und in Heidhöfen mit urtümlichen, ungenagelt aus Eichenästen zusammengefügten Zäunen. Ich meine manches gesehen zu haben und nur einem bin ich nicht begegnet: jener Einförmigkeit, die das Herz beklemmen kann. […] Aber die Mannigfaltigkeit der Heide liegt nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit.“
Auch wir, liebe Felicitas, haben eine besondere Beziehung zur Heide. Nicht weit von hier, in Unterlüß lebten nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu dessen Tod unsere Großeltern, und in Dreilingen leben Onkel Herbert und Tante Elke, die heute auch hier zugegen sind. Für uns ist die Lüneburger Heide eng verknüpft mit vielen guten Kindheitserfahrungen, zu denen auch die Bücher von Werner Bergengruen gehörten, die in dem Bücherregalen unserer Eltern nicht verstaubten, sondern immer wieder hervorgeholt und gelesen wurden. An manchem Abend wurde laut daraus vorgelesen.
Meine Damen und Herren, es wird sie vielleicht verwundern, wenn ich behaupte, daß die Lüneburger Heide keine charakteristische, sondern eine typische Landschaft ist. Typisch für jene Art von Landschaft, welche über Jahrhunderte weite Flächen Mittel- und Nordeuropas bedeckt hat. Ich sage das deshalb, weil ich gleich auf den Unterschied von Charakteren und Typen näher eingehen werde.
In einem Interview sagt Felicitas Hoppe: „Ich halte meine Texte insgesamt für einfach, zumindest was ihre Struktur und Gedankenwelt angeht. Was dann bei der Versprachlichung, also rein stilistisch geschieht, ist natürlich etwas anderes. Jedenfalls ist für mich offenkundig, und zwar von „Picknick der Friseure“ bis „Hoppe“, dass ich eigentlich keine Romanschriftstellerin im klassischen Sinn bin. Ich lese gerade eine Biographie über Selma Lagerlöf, da geht es unter anderem um den Vorwurf, sie sei so eine schlechte Charakterdarstellerin. Stimmt in gewisser Weise. Bin ich übrigens auch. Aber das hat einfach damit zu tun, dass mich das eben nicht interessiert.
Ich komme ja vom Nacherzählen, vom Fabulieren, auch im Sinne der Fabel, des Märchens, der Sage, der Legende. Das sind die Formen, die mich schon als Kind angeregt haben, die mich bis heute am meisten anregen. Romane sind für mich relativ langweilig, denn der Roman ist keine Erzählform. Erzählen kommt aus der Mündlichkeit. Man erzählt Geschichten, keine Charaktere.
Wozu ein Charakter, wenn man auch ein Typ sein kann! Das ist das Hoppe-Verfahren: Geschichten mit Typen zu bevölkern und diese durch Situationen, durch Länder, durch Zeiten, durch Konstellationen reisen zu lassen.“
Wozu ein Charakter, wenn man auch ein Typ sein kann! Ich halte diese Aussage von Felicitas Hoppe für einen Schlüssel für ihr gesamtes, bisheriges Werk. In dieser Aussage sehe ich auch eine bedeutende Analogie zu Werner Bergengruens Werk, wobei mit dem Begriff der Analogie Ähnlichkeit bei gleichzeitiger je größerer Unähnlichkeit gemeint ist.
Wozu ein Charakter, wenn man auch ein Typ sein kann! In diesem analogen Sinn findet sich bei Bergengruen eine dem entsprechende Aussage: „Das Individuelle ist von Haus aus gleichgültig, denn es ist zufällig. Es hat seine Ehre davon, daß es das Typische aufleuchten lässt. Ja, es vollendet sich überhaupt erst im Typischen. Hat es das geleistet, so falle es in die Anonymität zurück.“
Felicitas Hoppe stellt durchaus provokant fest, Romane seien für sie in der Regel langweilig, denn der Roman sei keine Erzählform. Soweit ich das Werk Werner Bergengruens, mit dem ich mich im Rahmen meiner Dissertation auseinandergesetzt habe, überblicken kann, komme ich zu der Schlussfolgerung, daß Bergengruen für mich als Dichter am stärksten und nachhaltigsten in seinen Novellen, nicht aber in seinen Romanen präsent ist. „In seinem ‚Knurrikulum Vitae‘ bemerkt Bergreuen lakonisch: „1922 wurde in der ‚Frankfurter Zeitung‘ mein erster Roman veröffentlicht. 1923 erschienen meine ersten beiden Bücher: jener Roman und ein Band Novellen. Beide sind mit Recht vergriffen, verbrannt, vergessen.“
Wer an Bergengruen denkt, denkt nicht zuerst an seine Romane, wie seinen Debütroman, „Das Gesetz des Atum“ aus dem Jahr 1923, „Das große Alkahest“ aus dem Jahr 1926 (dieser Roman wurde später von Bergengruen umgearbeitet und erschien 1938 unter dem Titel „Der Starost“) oder den 1938 erschienenen Roman „Der goldene Griffel“. Kaum einer erinnert sich mehr an „Das Kaiserreich in Trümmern“ aus dem Jahr 1927 oder an „Die Woche im Labyrinth“ aus dem Jahr 1930. Diese Romane sind vielleicht deshalb nach der eigenen Diktion Bergengruens „vergriffen, verbrannt, vergessen“, weil es ihm dort genauso wenig wie Felicitas Hoppe um Charaktere geht, sondern darum, „Geschichten mit Typen zu bevölkern und diese durch Situationen, durch Länder, durch Zeiten, durch Konstellationen reisen zu lassen“.
Vor diesem Hintergrund behaupte ich sowohl von Felicitas Hoppe als auch von Werner Bergengruen: Beide sind, auch wenn sie Romane verfasst haben, uneigentliche, ja a-typische Romanciers, weil sich ja der Roman an der Beschreibung des individuell-charakteristischen mit allen dazugehörigen historischen und psychologischen Finessen abarbeitet und nicht an Typen und Typologien interessiert ist.
Die nachhaltigen und aus meiner Sicht sehr lesenswerten Romane Bergengruens wie „Herzog Karl der Kühne“ aus dem Jahr 1930, der berühmte 1935 erschienene Roman „Der Großtyrann und das Gericht“ oder schließlich Bergengruens wohl umfangreichster Roman aus dem Jahr 1940 „Am Himmel wie auf Erden“ halte ich für typologische Erzählungen, für Sonderformen der Novelle, nicht aber für Romane im herkömmlichen Sinne. Ich gebe Bergengruen Recht, wenn er sagt: „Die Schilderung kann veralten, das reine Geschehnis nicht. Darum lebt die Novelle länger als der Roman.“
Vielleicht liegt auch darin der Grund, daß Bergengruen vorübergehend ein wenig in Vergessenheit geraten ist, weil der postmoderne Mensch auch in der Literatur gnadenlos auf die Individualität und die Psycho-Logik von Charakteren setzt, und sich weniger an Typen orientiert, die meines Erachtens nach die umfassende Symbolik einer Wirklichkeitserfahrung zum Ausdruck bringen können. So kann Bergengruen ganz selbstverständlich sagen: „Die Dichtung bedarf nur weniger großer Symbole. Im Grunde ist mit Brot und Wein alles gesagt.“ Dieser Satz hätte auch von Felicitas Hoppe stammen können.
Im Werk von Felicitas Hoppe finden wir bis dato, wenn wir der über 80 Titel enthaltenden Auswahlbibliographie von Hannah Rieger folgen, vier Werke, die als Roman bezeichnet werden: „Pigafetta“ aus dem Jahr 1999, „Paradiese. Übersee“ aus dem Jahr 2003, „Johanna“ aus dem Jahr 2006 und schließlich der Roman „Hoppe“ aus dem Jahr 2012.
„Oh, Ihre Schwester schreibt Romane! Ich lese unheimlich gerne Romane!“ Dies oder Ähnliches bekam ich des Öfteren zu hören. Dann bekam ich von diesen Leuten entweder gar nichts mehr zu hören, oder man gab meist recht taktvoll zu erkennen, daß man Felicitas Hoppe nicht verstehe. In einer Autorenlesung sagte ein Zuhörer einmal, er sei enttäuscht von diesem und jenen Buch, er würde nichts verstehen. Die Dichterin entgegnete darauf, daß sie dies bedauere. Sie müsse ihm aber mitteilen, dass er doch gar nicht enttäuscht sein könne, denn sie habe, als sie diesen Text schrieb, gar nicht an ihn gedacht.
Dieses „Felicitas-Hoppe-Nicht-Verstehen“, meine Damen und Herren, basiert in erster Linie auf der Erwartungshaltung, die in uns die Bezeichnung „Roman“ hervorruft. Ich habe meiner Schwester einmal gesagt, ihre Romane seien für mich, in Anlehnung an das vom Gründer des Jesuitenordens, dem Hl. Ignatius von Loyola verfasste berühmte Exerzitienbuch, Exerzitienbücher. Man übt sich an ihnen und übt mit ihnen, indem man sich auf die Textwelt der Autorin einstellt. Der Leser, der sich auf Hoppes Textwelt einlässt, verläßt die sichere Position, gleichermaßen die Deckung des „allwissenden Lesers“, der sich darauf verläßt, daß sich am Ende alles löst und dabei übersieht, daß sich dann auch alles auflöst. Wer diese Sicherheit als Leser aufgibt, der wird selbst existentiell in Hoppes innertextliche Auseinandersetzungen einbezogen.
Felicitas Hoppes Bücher müssen bisweilen Wort für Wort, Satz für Satz, Absatz für Absatz und Seite für Seite, Kapitel für Kapitel gelesen werden. Es ist sind sehr komprimierte Texte. Was auf den ersten Blick sehr komplex und bisweilen verstörend erscheint, entspricht einer eigenen Logik, die sich am Ende als sehr einfach und strukturiert erweist, deshalb kann sie auch sagen, dass ihre Texte insgesamt einfach sind, zumindest was ihre Struktur und Gedankenwelt angeht.
Hier erkenne ich eine umgekehrt proportionale Analogie zu Bergengruen. Was bei Bergengruen zum Beispiel in seiner letzten Erzählung „Die Schwestern aus dem Mohrenland“ aus dem Jahr 1963 zunächst als geordnet, klar und logisch, ja sogar idyllisch mit einer harmlosen Begegnung mit zwei Zwillingsschwestern in Marburg beginnt, wo auch der Erstlingsroman, „Das Gesetz des Atum“ spielt, wird bei zunehmendem Lesen eher unklarer und verschwommener. Diese umgekehrt proportionale Analogie erklärt sich dadurch, daß es sowohl bei Hoppe als auch bei Bergengruen grundsätzlich immer wieder um die erzählbaren, aber nicht auflösbare Mysterien des Lebens geht, die per se nicht trivial sein können.
Vergleicht man Felicitas Hoppe mit einem Pädagogen, der vom Einfachen zum Schwierigen voranschreitet, dann macht sie es gerade umgekehrt. Sie geht vom Schwierigen voran zum Einfachen. Und so treffen wir uns mit Felicitas Hoppe und all‘ Ihren Protagonisten am Ende am runden Tisch, in der elterlichen Küche, in der Heimat Hameln im Weserbergland, wir finden uns wieder auf dem besten Platz der Welt. Wir kommen zurück in die Paradiese, aus denen wir nach Übersee auszogen, um sie endlich wiederzufinden.
Hier zeichnet sich eine weitere scharfe Analogie zur „Heilen Welt“ Werner Bergengruens ab. Beide sind zutiefst überzeugt von einer ontologischen Ordnung. „Indes bleibt die gute Ordnung immer fragil“, wie Andreas Anter für das Werk der Dichterin herausgearbeitet hat.
Wichtig sind in Hoppes Werk auch die kleinen Details, wie die Überschriften. Betrachten wir pars pro toto die Überschriften in Hoppes „Johanna“: „Mützen, Stimmen, Wunder, Prüfungen, Zeugen, Leitern, Himmel.“ Jedes Wort hat eine typische Bedeutung.
Das griechische Wort „Typos“ bedeutet insbesondere im biblischen Kontext so viel wie Spur, Vorbild, Urbild. Ein Typos hinterlässt eine Spur, einen Abdruck, der uns zu etwas Ursprünglichen führt. Im Typos drückt sich eine grundsätzliche und ursprüngliche Wirklichkeit aus, die zwar zutiefst geschichtlich ist, aber zugleich immer auch den geschichtlichen Erfahrungshorizont übersteigt, also überzeitlich ist. Es kommt nicht von ungefähr, daß wir auch Buchstaben als kleinstes und letztes Textsegment als Typen bezeichnen.
In der Theologie der ersten Jahrhunderte drehte sich alle Deutung von biblischen Texten des Alten und des Neuen Testamentes wie bei Origenes, Hieronymus oder Augustinus immer um die Typologie des Textes, um Typos und Antitypos. So versteht man Christus als den Antitypos den Gegentyp zum ersten Menschen, als den neuen Adam. Seine Mutter Maria ist dementsprechend die neue Eva. (Deshalb feiern im Übrigen Menschen, die Adam oder Eva heißen, am Heiligen Abend ihren Namenstag.) Neben dieser Typologie entwickelte sich auch ein dreifacher Schriftsinn, neben dem buchstäblichen erkannten die Kirchenväter zugleich immer den moralischen und den mystischen Sinn eines Bibeltextes oder auch eines einzigen biblischen Wortes.
Dieses Wissen ist für das Verständnis von Hoppes Texten konstitutiv. Es kann kein Zufall sein, wenn Bergengruen an einer Stelle in seinen nachgelassenen Aufzeichnungen festhält: „Nicht nur die Heilige Schrift ist, wie die Theologen der alten Zeit es wollten, dreifach zu verstehen, nämlich verbaliter, moraliter, mystice, sondern alle Lebenserscheinungen lassen sich im Sinne dieser Dreifältigkeit auslegen.“ Eng verknüpft mit der Frage nach dem Typos, ist die Kategorie des Symbols. Das Symbol ist ja der handgreifliche Ausdruck oder der rituelle Vollzug einer typischen Wirklichkeit.
Zurück zu Hoppes „Johanna“. Nach einem Prolog folgen also die sieben Abschnitte dieses „Romans“, die mit den sieben genannten Wörtern, Mützen, Stimmen, Wunder, Prüfungen, Zeugen, Leitern, Himmel, bezeichnet werden. Diese Wörter tauchen in den einzelnen Abschnitten des Gesamttextes auf und haben einen geheimnisvollen Bezug zum Leben der Heiligen Johanna von Orleans.
Mützen haben für den Menschen im Kontext dieser Heiligen Jungfrau etwas mit Identität zu tun. Im Mittelalter definiert man sich ganz besonders über die Kopfbedeckung. Niemals verließ man das Haus ohne Kopfbedeckung. Stimmen verweisen auf die Stimmen, die Johanna gehört hatte, und die sie aufforderten, gegen jede gesellschaftliche Konvention als Frau in eine Ritterrüstung zu steigen. Das Wort Wunder verweist auf die wunderbaren Erfolge dieser Jungfrau. Die Zeugen deuten auf den peinlichen Inquisitions-Prozess hin, den Johanna über sich ergehen lassen musste. Leitern erinnern an jenen Mönch, der diese benutzte, um Johanna bei Ihrer Verbrennung das Kreuz als Zeichen des Trostes vor die Augen zu halten. Der Himmel erklärt sich am Ende der Geschichte von Johanna von selbst.
Die Herausforderung für den Leser besteht nun darin, diese Wörter im Text wiederzufinden und sie über den buchstäblichen und moralischen Sinn hinaus in ihrer mystischen Dimension in neuen textlichen Zusammenhängen zu erschließen. Diese Requisiten werden somit zu typologischen Chiffren, die das Überzeitliche an Johanna aufleuchten lassen. Diese Erschließung der mystischen Textdimension überlässt die Dichterin dem Leser selbst. Andreas Anter konstatiert zu Recht: „Ihr erzählerisches Werk steht nicht zuletzt für die Verteidigung literarischer Souveränität“. Diese unbedingte literarische Souveränität Hoppes findet ihren Ausdruck darin, dass sie in ihrem literarischen Texten erzählt und nichts bespricht oder erklärt.
Für das Verständnis der Hoppe-Texte ist es dabei von größter Bedeutung, dass Felicitas Hoppe, ohne dies eigens zu erklären, eine feine Unterscheidung des Begriffes des Geheimnisses macht. Hoppe fabuliert sich keine Geheimnisse zusammen, die am Ende Ihrer Texte aufgelöst werden, so wie wir es von einem handelsüblichen Kriminalroman oder einem Kreuzworträtsel gewöhnt sind.
Diese Form von Geheimnissen interessiert die Dichterin nicht, weil solche Geheimnisse in dem Moment, in dem sie entschlüsselt werden, aufhören, Geheimnisse zu sein. Hoppe erzählt vom Geheimnis, das immer ein Geheimnis bleibt.
Felicitas Hoppe geht es in ihrem Werk um die Grundgeheimnisse des Lebens, die wir auch Mysterium nennen und denen kein Mensch ausweichen kann. Sie ist dabei eine Schriftstellerin, die katholisch ist, aber sie ist keine katholische Schriftstellerin; genauso wie es zwar Bäcker gibt, die katholisch, aber deshalb keine katholischen Bäcker sind. Auch hier gibt es eine wichtige Analogie zu Werner Bergengruen, der betont, er arbeite nicht im Dienst von Ideen, Thesen, Programmen, Absichten und Zwecken. „So habe ich auch nicht das Gefühl einer Mission; dergleichen vermöchte mein Unabhängigkeitsbedürfnis nicht dulden.“
Diese Grundgeheimnisse werden immer wieder neu erzählt, aber sie hören damit nie auf, Geheimnisse zu bleiben. Das Geheimnis als solches entzieht sich damit jeder Psycho-Logik, als „hätte jemand ein Licht angemacht, das sich nicht aus natürlicher Quelle speist“, so der Ich-Erzähler im Roman Johanna.
Die Geheimnisse um die Existenz des Menschen, die Frage nach seinem Woher und Wohin, subsistieren für Felicitas Hoppe wie für Werner Bergengruen eben nicht in Charakteren und Romanplots, sondern in Typen. Bei Hoppe sind das unter anderem: Iwein Löwenritter, Verbrecher und Versager, der Pauschalist und Dr. Stollizka aus Paradiese, Übersee oder Peitsche, jener gruselig-diabolische Typ aus Johanna.
Auch und gerade Heilige gehören zu diesen Typen, wie „Willibrord, der seinen Stab in die Fässer taucht“ Diese Typen, seien sie liebenswürdig, seien sie eher ungemütlich, wir finden sie auch bei Bergengruen wieder, nicht zuletzt in den Erzählungen „Der letzte Rittmeister“ aus dem Jahr 1952.
Gerade die Heiligen und Ritter des Mittelalters, die uns bei Hoppe immer wieder begegnen, hätten sich dagegen verwahrt, Charaktermänner oder charakteristisch genannt zu werden. Sie wollten auch keine Individuen sein. Sie wollten nichts anderes sein als Typen Gottes; sie wollten Menschen sein, an und in denen die Spur Gottes sichtbar geworden ist.
Die Dichterin hat einen Lieblingsheiligen. Es ist der Heilige Christophorus. Ich hoffe, daß sie bald über diesen besonderen Typen Gottes schreiben wird, der sich auf den Weg macht, um dem Größten zu dienen, den er dann im ganz Kleinen findet. Die Dichterin, die heute von der Werner-Bergengruen-Gesellschaft geehrt wird, kann mich diesbezüglich gerne um Informationen bitten. Ich kenne den Heiligen Christophorus gut, schließlich war ich bis letzte Woche Pfarrer einer Christophorus-Pfarrei.
Meine Damen, meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!