Begrüßung

Alte Novelle, Neues Erzählen – Bergengruen neu lesen

Begrüßung

Eckhard Lange

Meine Damen und Herren! Ich möchte zuallererst den Hausherrn und damit den Gastgeber dieser Tagung unter uns begrüßen: Herrn Bürgermeister Otto Lukat (der anderswo längst den Titel Oberbürgermeister führen dürfte – bei der Größe der Gemeinde von knapp 40.000 Einwohnern und dem Einfluß oder der Anziehung auf 80.000 im Landkreis. Aber im hanseatisch geprägten Norden – Uelzen ist eine alte Hansestadt! – war man hinsichtlich Titeln und Orden schon immer etwas bescheidener als etwa in Bayern oder Baden-Württemberg). Herzlichen Dank, Herr Bürgermeister, dass wir dieses schöne Rathaus für unsere Tagung zur Verfügung gestellt bekommen. (….)

Die wievielte Tagung der Werner-Bergengruen-Gesellschaft dies ist, kann uns vielleicht Professor Kroll, der Gründer und erste Präsident der Gesellschaft, verraten, den ich als nächsten – stellvertretend auch für alle anderen Referenten – herzlich begrüße. Ich habe bisher an drei Tagungen dieser Gesellschaft teilgenommen und erinnere nur daran, dass die Werner-Bergengruen-Gesellschaft nun 17 Jahre besteht und es im Auf- und Abgang der literarischen Moden und Schulen, die oft ideologiegeprägt sind, nicht leicht hat, die eigene Stimme im literaturpolitischen und wissenschaftlichen Diskurs zu erheben.

Bevor wir richtig in diesen Diskurs einsteigen, erlauben Sie mir zwei Bemerkungen. Die erste betrifft den Sinn und möglicherweise Unsinn von Tagungen überhaupt. „Stell dir vor, es ist Tagung, und keiner geht hin“, titelte vor kurzem die FAZ. Dieter Thomä, Philosophie-Professor der Universität St.Gallen, stellte da ein „Herzstück akademischen Lebens“, wie er schreibt, nämlich die wissenschaftliche Tagung, in ihrer momentanen Entwicklung (mit angeblich inflationärer Tendenz) grundsätzlich in Frage. Er sieht sie zunehmend beherrscht von „pathologischen Phonozentristen“, die nur sich selbst reden hören und keinem anderen zuhören wollen. Ich habe in meinem abgeschlossenen Berufsleben zahlreiche Tagungen erlebt und in verschiedener Funktion z.T. selbst veranstaltet – sie waren nicht immer streng wissenschaftlich – und natürlich traten da auch Phonozentristen und von sich überzeugte Exzellenzen auf, doch würde ich dies nicht verallgemeinern. Zumal Dieter Thomä eine ganz wichtige Funktion solcher Tagungen außer acht lässt: das Gespräch, das Kennenlernen, die Verabredungen nebenbei. Das kann man nicht wie der Professor aus St.Gallen damit abtun, hier hätten – ich zitiere – „nur halb arrivierte, nassforsche Kollegen“ nichts anderes im Sinn, als „in welches Café sie denn nun gehen“ wollten. Ich stimme vielmehr der „Gegendarstellung“ von Michael Diers ein paar Tage später in der gleichen Zeitung voll zu, wenn er schreibt: „Tagungen sind möglicherweise nicht der akademischen Weisheit letzter Schluss. Sie taugen jedoch immer noch dazu, ein zum Monolog neigendes System vorübergehend auf Dialog, Gedankenaustausch und Kommunikation zu polen.“

Die zweite Bemerkung gilt unserem Thema: dem Thema Bergengruen oder vielmehr, wie man einen einst hoch geschätzten Autor, der, wie ich finde, zu Unrecht und fast mutwillig aus den Schullesebüchern und Literaturgeschichten verbannt wurde, wieder zum Thema machen kann: in Schulen, Feuilletons und Literaturgeschichten. Ich spreche, das Wort von vorhin aufgreifend, von einem literaturpolitischen Akt. Vielleicht auch von einer Wiedergutmachung. Denn wir wissen ja, dass Bergengruens Brandmarkung als Dichter einer „heilen Welt“ im Gefolge Adornos einem fundamentalen Missverständnis, einer wirklich bornierten ideologischen Befangenheit entspringt. Als ob man einem Mann, der durch die Kriege und Diktaturen des 20. Jahrhunderts gegangen ist, und zwar aufrecht und, was die Nazizeit betrifft, sogar in dauernder persönlicher Bedrohung wegen seines Widerstands – Bergengruen war auf der jüngsten Tagung in Chemnitz „Schriftsteller im Widerstand“ einer der meist zitierten Autoren – als ob man diesem Schriftsteller verübeln kann, dass er sich, zumal als ein zum Katholizismus konvertierter, nach einer heilen Welt sehnt. Und davon macht man dann das Urteil über seine literarische Qualität abhängig.

Das hat verheerende Folgen gezeitigt. Ich rede vom literaturpolitischen Kahlschlag der 68er Kulturrevolution. Wenn man in dem von Frank-Lothar Kroll, Luise Hackelsberger und Sylvia Taschka herausgegebenen Band „Schriftstellerexistenz in der Diktatur“ , den autobiographischen Aufzeichnungen des „Compendium Bergengruenianum, nachliest, wie Bergengruen selbst jenen Autorinnen und Autoren seiner Zeit, die er politisch und auch aus literaturkritischer Sicht ablehnt, immer wieder zumindest menschlich Gerechtigkeit widerfahren läßt – hier oft in erstaunlicher Nähe zum „Geheimreport“ Zuckmayers – , empfindet man diese Ungerechtigkeit ihm gegenüber doppelt. Bergengruen war ja auch – die luziden Urteile über Jochen Klepper, Reinhold Schneider, Ernst Wiechert, Ina Seidel u.a. zeigen es – ein profunder Literaturkenner und brillanter Literaturkritiker. Er wusste durchaus das Echte vom Unechten zu unterscheiden, Kitsch von Kunst.

Perfiderweise setzt genau da der Generalverdacht, das Pauschalurteil der Ideologen nach 68 an, die Bergengruen nachgewiesenermaßen häufig gar nicht gelesen haben. Heile Welt, transzendierender Glaube, Metaphysik – das musste Kitsch sein, zumindest war es mit dem Signum des Verstaubten, hoffnungslos Gestrigen zu belegen. Es ist schon erstaunlich, wie noch heute in dem von Helmut Böttiger herausgegebenen, an sich verdienstvollen, die literarischen Akteure der Zeit ausführlich behandelnden Begleitband zur Ausstellung „Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland“ der Autor mit der wohl größten deutschen Lesergemeinde jener Zeit, nämlich Werner Bergengruen, lediglich in Aufzählungen und Anmerkungen vorkommt (und da häufig abschätzig behandelt, gleichmacherisch in einen Topf mit anderen geworfen. Etwa so (ich zitiere): „Es finden sich die unvermeidlichen Werner Bergengruen, Ernst Wiechert, Frank Thiess, Kasimir Edschmid, Manfred Hausmann und Friedrich Schnack“, ein „ernüchterndes Umfeld“). Und das, obwohl nicht verschwiegen werden kann, dass Bergengruen z.B. als erster Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gehandelt wurde (das wurde dann sein enger Freund Rudolf Pechel) und zusammen mit Rudolf Alexander Schröder 1951 zur repräsentativen Delegation einer Tagung der Akademie im ausländischen Luzern gehörte. Beide, so heißt es dazu bei Böttiger, stellen damals „offiziell die höchste Stufe der Gegenwartsliteratur“ dar. Aber dann wird ausführlich auf Leben und Werk Schröders eingegangen und Bergengruen, so scheint es fast, einfach vergessen.

Ist Werner Bergengruen bei der jüngeren Garde deutscher Literaturhistoriker wirklich vergessen? Die beiden ersten Tagungsreferate heute morgen werden der „Bergengruen-Rezeption der Gegenwart“ und dem „merkwürdigen, wenngleich verbreiteten Umgang mit Literaturgeschichte“ am Beispiel Bergengruens u.a. nachgehen. Weitere Erkundungen, die äußere und innere Umstände des Schaffens von Werner Bergengruen zum Inhalt haben, werden folgen. (….) Es ist jedenfalls ein ganzer Komplex innerer und äußerer Umstände, die am ersten Tag abgehandelt werden. Der zweite Tag, der morgige, ist dann vorwiegend dem Genre gewidmet, in dem Bergengruen seine „Umstände“ verarbeitete und in dem er Meister war: der Erzählung. Und das beginnt mit einem feierlichen Ereignis, der ersten Verleihung eines Werner-Bergengruen-Preises an die Erzählerin Svenja Leiber. Sie ist schon heute unter uns, und ich darf auch sie ganz herzlich begrüßen. Auch das Podium morgen ist bis auf den Moderator mit lauter Erzählern der Gegenwart besetzt, alle schon mehrfach ausgezeichnet mit Preisen, und hier, bei den Autorinnen und Autoren gewissermaßen der Ur-Enkel-Generation, wird man feststellen, das darf ich versprechen, dass die Scheuklappen gefallen sind: Man erzählt wieder ohne Hemmungen vor dem alten Gattungsbegriff Novelle und man kann Bergengruen wieder neu und ideologisch unbefangen lesen. (…..)