Begrüßung

Eckhard Lange

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Sie an diesem für Deutschland historisch so wichtigen Tag, dem 9.11., zu einer Preisverleihung erschienen sind, die nun schon zum dritten Mal im historischen Alten Rathaus von Uelzen stattfindet, in den Räumen der Volkshochschule (mein Dank gilt der Hausherrin, Frau Almke Matzker-Steiner für die Zurichtung und das technische Equipment).

Als erste begrüße ich die dem Verleihungsakt heute Vormittag, wie man so schön sagt, das Gepräge geben: den Preisträger Ingo Schulze, der gestern erst spät von einer Nominierung für den Hörspielpreis aus Stuttgart zu uns gekommen ist, und den Laudator Mark Siemons, aus Berlin angereist.

Werner Bergengruen und Uelzen, das ist eine nun schon 10 Jahre dauernde Geschichte der Preisverleihungen. Er selbst hat ja Uelzen wohl nicht gekannt und die Stadt lediglich – wie vor zwei Jahren an dieser Stelle ausgeführt –  in seiner „Badekur des Herzens“ als „Ort der Geheimnisse“ charakterisiert.

Aber: Bergengruen ist im baltischen Riga geboren und hat eine seiner schönsten Erzählsammlungen dem estnischen Reval, dem heutigen Tallin, gewidmet, beides Hansestädte wie Uelzen: Der Bürgermeister der Hansestadt Uelzen, Jürgen Markwardt, bedauert wegen Auswärtsterminen nicht teilnehmen zu können und wünscht der Veranstaltung einen guten Verlauf. Ebenso der 1. Stadtrat und Kulturdezernent Dr. Ebeling, der heute auch ganztägig unterwegs ist. Ich darf dafür den Ratsvorsitzenden der Stadt Uwe Holst begrüßen stellvertretend für die Ratsmitglieder den Vorsitzenden des Kulturausschusses Fred Müller sowie den Vertreter der örtlichen Presse, unserer AZ: Folkert Frels. Der Verleger der AZ, Dr. Dirk Ippen, hat nun schon zum wiederholten Mal für die finanzielle Ausstattung des Bergengruen-Preises gesorgt, wofür er jedes Mal das Dankeschön abwehrt, weil er einfach für das Andenken dieses Schriftstellers etwas tun will. Er wird uns anschließend sein Grußwort per Video übermitteln. Ein weiterer Sponsor der Bergengruen-Gesellschaft ist die Uelzener Versicherung, die regelmäßig die Weingeister-Lesungen unterstützt. Ich begrüße Ihren Vorsitzenden Dr. Theo Hölscher.

Habent sua fata libelli: Bücher haben ihre Geschichte, so heißt es. Man kann das auf Literaturpreise übertragen: Habent sua fata palma! Ja, auch Preise haben ihre Geschichte. Mein erster Rundfunkbeitrag galt der Geschichte des Georg-Büchner-Preises von seinem Anfang 1950 – Elisabeth Langgässer – bis damals,1968, Golo Mann. Es handelte sich dabei um fast so etwas wie eine kleine Literaturgeschichte der westdeutschen Nachkriegszeit, war der Büchnerpreis doch eng mit dem Werdegang der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt verbunden.

Die Geschichte des Werner-Bergengruen-Preises beginnt vor zehn Jahren mit Svenja Leiber, einer jungen Debütantin, deren Erzählband Büchsenlicht uns von Wend Kässens, unserem Ur-Juror, ans Herz gelegt wurde. (Ich freue mich sehr, lieber Wend, Dich heute unter uns zu sehen.) Svenja Leiber ist heute gewichtige Roman-Autorin bei Suhrkamp (Das letzte Land, Staub,).

Es folgte 2011 Peter Kurzeck, auch eine Empfehlung von Wend Kässens, der bei den ersten beiden Preisverleihungen der Laudator war – bei Kurzeck sprang er für den erkrankten Andreas Maier ein. (Auch die Laudatoren gehören zur Geschichte des Bergengruen-Preises, die übrigens außer im Periodikum der Bergengruen-Gesellschaft, den Bergengrueniana, ziemlich lückenlos dokumentiert ist im Heidewanderer, der Samstagsbeilage unserer AZ, verantwortet von Horst Hoffmann. Sei gegrüßt, lieber Horst!) Kurzeck, der 2013 verstarb, ist mit seinem auf zwölf Bände angelegten Roman-Zyklus Das alte Jahrhundert inzwischen zur Legende geworden, „vollendet unvollendet“, wie der Spiegel schrieb.

2013 dann Kurt Drawert, laudatiert von unserem anderen Juror Dr. Tilman Spreckelsen. (Er bedauert es sehr, heute nicht dabei sein zu können, zumal er ja auch auf Kollegen der FAZ gestoßen wäre. Ich begrüße Michael Martens, der gestern Abend bei den Weingeistern aus seiner bereits viel gerühmten Ivo Andric´-Biographie gelesen hat.)

Drawert, der nicht zuletzt durch seine in mehrere Sprachen übersetzten Gedichte und seine Essays bekannt wurde, erhielt die Auszeichnung vor allem für seinen Roman Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte, eine autobiographisch geprägte Kaspar-Hauser-Legende aus der DDR, was ihm während der Preisverleihung die persönliche Attacke einer notorischen DDR-Verklärerin aus Uelzen eintrug. Man kann sich vorstellen, wie ihn das verstörte, wähnte er sich doch plötzlich nicht mehr in Uelzen, sondern im Dresden und Leipzig der frühen 80er Jahre. In mein Leseexemplar des Romans schrieb er, einigermaßen konsterniert ob der ihm widerfahrenen Realitätsverleugnung: „So war es!“

2015 erhielt den Preis Felicitas Hoppe, drei Jahre zuvor mit dem besagten renommierten Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Sie verstand den Bergengruen-Preis keineswegs nur als „Nachtisch“, bekannte sie doch, mit Bergengruen „gewissermaßen aufgewachsen“ zu sein. Das begegnet mir immer wieder bei in Westdeutschland aufgewachsenen Autoren, dass sie über ihre Eltern mit dem Autor des Großtyrann oder der Drei Falken bekannt gemacht worden waren. Daniel Kehlmann sagte mir, das Lieblingsbuch seiner Mutter sei der Großtyrann gewesen. Kurzeck, der Augenmensch, erinnerte sich besonders an die schön gedruckten, schmalen Arche-Bändchen, von denen einige Bergengruen füllte. Felicitas Hoppes Laudator war der eigene Bruder: Ulrich Hoppe, der 2006 über Bergengruen mit dem Titel Zwischen Atum und Mohrenland promoviert hatte (im Aschendorff-Verlag, Münster, erschienen, sehr lesenswert, auch als Einführung in das Gesamtwerk).

Vor zwei Jahren nahm den Preis Zsuzsanna Gahse hier entgegen, die in der Schweiz lebende, deutsch dichtende Ungarin. Sie hatte in ihrer Dankesrede eine überraschende Deutung des Pelageia-Romans von Bergengruen im Gepäck, nämlich im Blick auf die vielen, z.T. exotischen Sprachen (und damit Orte), die in dieser Geschichte auftauchen. Zsuzsanna Gahse, selbst eine Spielerin mit Sprachen und Orten, beispielhaft in ihrem Versepos Donauwürfel, hatte gerade den Italo Svevo-Preis erhalten und brachte als Laudator Nico Bleutge mit, der just am Tag zuvor mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet worden war. Es war eine bemerkenswerte Zusammenballung von Literaturpreisen an diesem Tag, hier in Uelzen. Zsuzsanna Gahse outete sich am Ende ihrer  Dankesrede als geheimnisvolle Gastgeberin an Silvesterabenden für tote Schriftsteller, die sich in ihrem alten Haus auf dem Lande ein Stelldichein geben: E.T.A. Hoffmann sitzt „im oberen Flur mit Südausblick“, in den Zimmern daneben mal Ernst Jandl, mal Ilse Aichinger im Gespräch mit Heinrich Böll, im Erdgeschoss unterhalten sich Cervantes und Shakespeare und Nathalie Sarraute und Helmut Heißenbüttel sitzen einfach still nebeneinander. Zu Silvester 2017 wollte sie Bergengruen einladen – und siehe da, im Januar 18 teilt sie mir mit: „Ja, der Herr Rittmeister war hier in guter Gesellschaft, er hat sich vorzüglich benommen, und bei seinen Erzählungen schmunzelte Tschechow“.

Heute also, welche Freude, erhält Ingo Schulze den Preis, empfohlen auch von Zsuzsanna Gahse – Sie wissen, dass zu den Haupt-Juroren Wend Kässens und Tilman Spreckelsen seit einiger Zeit die letzte Preisträgerin oder der letzte Preisträger hinzutritt.

Ingo Schulze vorzustellen, erübrigt sich fast schon. In Uelzen hat er schon zweimal bei den Weingeistern gelesen. Aber nicht nur Uelzen – das ganze literarische Deutschland kennt Ingo Schulze. Spätestens seit seinen Storys, Erzählungen und Romanen aus dem thüringischen Altenburg: Simple Storys, Handy, Neue Leben, Adam und Evelyn. Seine Biographie findet heute jeder im Internet – hoffentlich einigermaßen korrekt – dargestellt: geboren 1962 in Dresden, 1981 Abitur, NVA-Dienst, Studium der Klassischen Philologie und dann – nach der Wende – Journalist und Dramaturg in Altenburg, heute freier Schriftsteller in Berlin. Ehrungen und Preise, Würdigungen in der Kritik zuhauf, Laudationen von Günter Grass bis – heute in diesem Saal! – Mark Siemons (auch über diesen wird man bei Google und auf der Website der FAZ fündig). Seiner Deutung des Werks von Ingo Schulze will ich nichts vorwegnehmen, schließe deshalb meine Begrüßung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.